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Geisterbahn im Kohlerevier / Ghost train in the coal district

05.09.2015 Xi Xian / China / N36°35’27.4“ E110°55’08.7“

 

Der Morgen schenkt uns Dampfnudeln. Frisch zubereitet an der Straße. Die in Etagen aufgeschichteten Schalen, im Dampf stehend, sehen aus wie kleine Pagoden. Jede Etage beherbergt acht rund geformte Teigtaschen. Innen finden wir eine undefinierbare Masse. Doch sie schmeckt und das ist die Hauptsache. Pingyao ist das was man vielleicht landläufig als „China“ bezeichnen würde. Rote Laternen, dampfende Töpfe, Motorroller und sogar noch das eine oder andere Fahrrad können wir entdecken. Zeit zum Schlendern, Zeit zum Zeichnen, Zeit zum Auspendeln der eigenen inneren Mitte. Entspannter Vormittag. Blicke, die Ruhe finden. Rückzug in kleine Nischen, Rückzug in Ecken suchend um inne zu halten und neue Kraft zu sammeln für den Sturm der Massen, der außerhalb der Oase lauert. China hat in diesen Tagen etwas Unerbittliches, wie ich meine. Rücksicht geht anders. Hier scheint es darum zu gehen selbst voran zu kommen. Auf Schritt und Tritt, auf der Straße im Verkehr. Dort besonders. Anhalten, Vorfahrt gewähren, was für unangebrachte Ideen. Wer stehen bleibt ist selber schuld. Wir quälen uns mit unserm Leo durch das Kohlerevier des chinesischen Nordens. Die Kohle macht nicht Halt vor Wohngebieten. Sie ergießt sich auf den Straßen, färbt die Haut der Leute, deren Broterwerb sie ist. Ein wenig naiv komme ich mir vor, bei meinem großen Staunen über so viel Aufgewühltes. In der Mongolei war der Boden heilig. Er durfte nicht verletzt werden. Hier nun das absoluteste aller Gegenteile. Kein Meter der nicht umgeackert, umgegraben, aufgebrochen, umgewälzt wäre. Doch eineinhalb Milliarden Menschen brauchen viel von allem. An jedem Tag. Immer. Die Geister des Bodens haben es mit Sicherheit schwer, bei dem Tumult Gelassenheit zu wahren. Schwer haben es auch unsere Motorradfahrer. Sie müssen sich durch die quietschenden, ächzenden Lastwagen drängen. Sie sind dem Staub ausgesetzt und der überaus spontanen Fahrweise der Mofas, Autos und Trucks. Bergauf gibt es Ärger. Zwei PKW stoßen zusammen. Der Eine rast davon. Der andere schreit seine Familie aus dem Auto. Die bleibt weinend am Straßenrand zurück. Frau, Oma und drei Kinder. Der Mann nimmt die Verfolgung auf. Etwas Hitziges liegt in der Luft. Das Anstrengende für uns, den Überblick und Ruhe zu bewahren. Überblick, um niemanden zu übersehen, der sich unserem Leo gefährlich nähert. Ruhe, in der Zuversicht, dass sich die Situationen immer wieder lösen werden. Wir sind eingestiegen in die Wagen der Geisterbahn, zwischendurch aussteigen ist nicht drin, Augen schließen wenig hilfreich. Also Augen auf und durch. Im schönsten Licht der sich senkenden Sonne finden wir einen Platz an der Straße für die Nacht. Der Besitzer des kleinen Fleckchens Raum freut sich, uns darauf beherbergen zu können. Treffen wir auf die Menschen selbst ist das Gefühl ein anders. Dann sind sie überaus interessiert, beobachten still, lächeln milde. Dann geht eine Ruhe von ihnen aus, selbst in großer Gruppe. Wir sind alle erschöpft und doch stolz, dem Weg wieder einhundertfünfzig Kilometer abgerungen zu haben. Wir sitzen am Feuer, spüren dem Fließen des kalten Biers in unseren Kehlen nach und genießen das langsame Entspannen unserer Nackenmuskeln.

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